Der Konflikt, um den es geht, wird seit mehreren Jahren und einigermaßen erbittert ausgetragen. Kein Wunder, schließlich geht es um Investitionen in Millionenhöhe. Es stehen sich gegenüber: In der einen Ecke die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) sowie das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF). Die obersten Hüter der Flugsicherheit sind der Auffassung, dass Windräder unter Umständen die Funknavigation gefährden.
Bereits genehmigte Windenergieanlagen wurden im Zuge von Eingaben und Klagen bereits gekippt. In der anderen Ecke: Die Betreiber von Windenergieanlagen wie der Prinz von Isenburg, dessen 65 Millionenprojekt 2014 beispielsweise erst ein Mal von der Deutschen Flugsicherung gestoppt wurde.
Mit einem Urteil des Verwaltungsgerichtes Schleswig vom 5. März dieses Jahres hat sich der Wind vielleicht gedreht. Selbiges Verwaltungsgericht hat nämlich die anhängige Klage des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung (BAF) gegen die Genehmigung von neun Windenergieanlagen im Umfeld der Funknavigationsanlage Michaelsdorf abgewiesen. Noch im Februar 2015 hatte beispielsweise das Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg demgegenüber der BAF und der DFS vollumfänglich zugestimmt.
Mit dem jüngsten Schleswiger Urteil gibt es nun wieder ein Votum, das zugunsten der WEA-Betreiber, Errichter und der zuständigen Genehmigungsbehörden ausfällt.
FLUGSICHERUNG VERSUS ENERGIEWENDE?
Die Deutsche Flugsicherung (und die BAF) begründen: Windräder können benachbarte Radarstationen des Funknavigationssystems stören. Seit 2009 gibt es eine Zone von 15 Kilometern rund um die Radaranlagen und sogenannten Funkfeuer. Diese Zone ist für den Bau von Windmühlen tabu, weil hoch aufragende Bauwerke potenziell Signalwellen ablenken.
Ursprünglich betrug der Radius 3 Kilometer.
Die etwa 60 militärischen und zivilen Funkfeuer befinden sich aus technischen Gründen (wenig Widerstand für die Funkwellen) nicht selten in genau den Regionen, die auch für die Windenergiebetreiber interessant sind.
Daran, ob diese Zone zu groß ist oder nicht (und wie dies begründet wird), entzündet sich ein Streit, der für Windparkplaner und –Betreiber nicht folgenlos geblieben ist. Geplante Anlagen wurden nicht genehmigt, bereits genehmigte Vorhaben gestoppt.
Die BAF begründet die 15-Kilometer-Tabuzone mit den Richtlinien der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO), die für hohe Neubauten diesen Mindestabstand vorschreibt. Rechtlich bindend, sagt die BAF.
Dieser Anlagenschutzbereich von Drehfunkfeuern bei Windenergieanlagen mit dem erweiterten Radius von 15 Kilometern wurde 2009 im ICAO EUR Doc 015 festgelegt – und diente u.a. der Harmonisierung der unterschiedlichen europäischen Vorgaben.
Bedenkt man gerade die besonders sensiblen 360-Grad-Drehfeuer, würden – so eine Behördensprecherin „Rechnerisch 500 Anlagen mit 15 Kilometer Umkreis (würden) ausreichen, um die gesamte Fläche der Bundesrepublik zur Windradverbotszone zu machen.“
„Flugzeuge sind schon von Kurs abgekommen“ – hält die DFS dagegen.
Werden Flugsicherheit und ein nicht ganz unwesentlicher Pfeiler der Energiewende gegeneinander ausgespielt?
STÖRPOTENZIAL KLAR?
Das ist derzeit die Frage von Studien, Gutachten und Gegengutachten. Das Land Schleswig-Holstein hatte beispielsweise 2014 zwei Gutachten vorgelegt, die das Verfahren der DFS in Zweifel ziehen. Das Verfahren sei nicht geeignet, da zu stark vereinfachend und „nie wissenschaftlich validiert“. Das tatsächliche Störpotenzial ist also durchaus unklar, und der 15-Kilometer-Radius wird pauschal zugrunde gelegt.
Umso mehr als es derzeit keine Norm zur Beurteilung der Störwirkung von Windenergieanlagen auf (einzelne) Navigationsanlagen gibt. Dieser Einschätzung folgte dann beispielsweise das Verwaltungsgericht Oldenburg – und entschied sich damit gegen die Pauschalregelung und für die eigenständige Prüfungskompetenz der Bundesimmissionsschutzbehörde. In NRW sah das Verwaltungsgericht Düsseldorf dies wiederum anders: Es räumt der Flugsicherung einen Entscheidungsspielraum ein, wenn es um den Mindestabstand geht.
Eine Klarstellung wird im Hauptgutachten des Instituts für Luft- und Raumfahrt an der Technischen Universität Berlin versucht. Zitat: „Das von der Deutschen Flugsicherung angewandte Verfahren zur Prognose des Einflusses von Windenergieanlagen auf Funknavigationsanlagen sei nicht geeignet, da es zu stark vereinfachend sei und nie wissenschaftlich validiert wurde. Es fehle eine verlässliche Simulations- und Berechnungsmethode, derzeit sei kein geeignetes Prognose-Verfahren bekannt und die Entwicklung eines solchen Verfahrens sehr zeitaufwendig.“
Grünen-Fraktionsvizechef Oliver Krischer: „(…) ein Beschäftigungsprogramm für die Gerichte“ – ?
Der Gedanke scheint zumindest nahezuliegen. So folgten zwar dem oben zitierten Hauptgutachten technische Empfehlungen unter anderem auch an die Adresse der Flugsicherheit. Da ist dann zwar von einer „veralteten Reserve-Navigationstechnik“ die Rede. Trotzdem waren BWE-Vizepräsident Schulze Langenhorst und Dr. Frank-Michael Baumann, Geschäftsführer der Energieagentur. NRW nicht auf Konfrontationskurs. Zwar gebe es Nutzungskonflikte, die aber sowohl technisch als auch juristisch gelöst werden könnten. Wozu das Gutachten Wege aufzeige. Zitat des BWE-Vizepräsidenten: „Gerade weil es sich um eine Prognoseentscheidung mit erheblichen Auswirkungen auf Investitionen in Milliardenhöhe in Deutschland handelt, ist es wichtig, dass die Entscheidung nicht faktisch allein durch die Deutsche Flugsicherung als privates Unternehmen mit gegenläufigen Geschäftsinteressen erfolgt. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Luftverkehrsbehörden sorgfältig die betroffenen Projekte prüfen und die Genehmigungsbehörden fundierte Entscheidungen treffen können.“
Das war Mitte November des letzten Jahres. Nun hat das Verwaltungsgericht Schleswig die Klage gegen Windenergieanlagen abgewiesen, der BAF hat also erneut Gegenwind bekommen.
Die Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Maslaton wertet das in Summe als einen mutigen Entscheid eines Verwaltungsgerichts, ganz im Sinne einer unabhängigen Gerichtsbarkeit in einem erbittert geführten Streit zwischen Flugsicherung und WEA-Betreibern. Ein Vorteil, so werten es die Juristen: Auf Basis dieses Urteils sind die Genehmigungsbehörden auf jeden Fall selbständiger beim Wahrnehmen der eigenen Prüfkompetenz.
Ja, ein Fortschritt, wie wir meinen. Denn das Urteil eröffnet Handlungsspielräume und stärkt unabhängige Bewertungs- und Prüfungskriterien.