Gerech(ne)t Blindarbeit – Unternehmerisches Risiko oder kostendeckende Vergütung?

Heute nehmen wir ein aktuelles Positionspapier des Bundesverbandes Windenergie (BWE) zum Anlass uns mit dem Thema „Vergütung von Blindarbeit“ zu beschäftigen.

Eine grundlegende technische Voraussetzung für den Netzbetrieb ist die Spannungshaltung im Netz. Sie hängt nicht zuletzt von den verfügbaren Blindleistungsquellen ab, die seit der Energiewende verstärkt von den Produzenten der erneuerbaren Energien bereitgestellt werden.

Blindleistung wird benötigt um elektromagnetische Felder aufzubauen und damit überhaupt erst die Energieübertragung zu ermöglichen. Diese Form der Energie wird nicht in eine andere, nutzbare Energieform umgewandelt und belastet potenziell Netz und Erzeugungsanlagen gleichermaßen. Es gibt aber beispielsweise Kompensationsanlagen, die den nicht nutzbaren Anteil reduzieren und so dazu beitragen die Netze weniger zu belasten.

Die Voraussetzungen

Die Netzbetreiber haben die technischen Voraussetzungen in einer entsprechenden Verordnung festgelegt, der „Verordnung zu Systemdienstleistungen durch Windenergieanlagen“ (SDL WindV), und dadurch einen entsprechenden Investitionsbonus ermöglicht, den sogenannten SDL Bonus (Systemdienstleistungsbonus).

In einem unserer früheren Blogbeiträge haben wir uns unter anderem mit der Blindleistung im Unterschied zu Wirkleistung und Scheinleistung beschäftigt. Nach den in Deutschland gültigen Anschlussbedingungen müssen die Erzeuger erneuerbarer Energien einen bestimmten Blindleistungsbereich zur Verfügung stellen um überhaupt in ein öffentliches Netz einspeisen zu dürfen.

Dabei hängt es von den Anforderungen am jeweiligen Netzverknüpfungs-punkt ab wie viel der in kVar oder MVar gemessenen Blindleistung dann tatsächlich genutzt wird. Hierbei spricht man von der sogenannten „Blindarbeit“. Darunter versteht man die tatsächlich abgerufene Blindleistung in kVar oder MVar pro Stunde. Dabei spielt nicht nur die benötigte Menge eine Rolle, sondern auch die unterschiedlichen Regelmodi der verschiedenen Netzbetreiber. Der BWE verweist beispielsweise auf Fälle, in denen Netzbetreiber mehr Blindleistung angefordert haben als die Windanlagenbetreiber aufgrund der Netzanschlussbedingungen liefern mussten.

Blindarbeit kostet

Um die Blindleistung bereitstellen zu können, müssen die jeweiligen Betreiber beispielsweise in eine höhere Scheinleistung investieren. Das können Generatoren, Kabel und Transformatoren sein, aber es fallen auch höhere Betriebskosten an da die Verluste im System steigen.

Der erwähnte SDL Bonus sollte ursprünglich finanzielle Anreize für die Anlagenbetreiber bieten. Allerdings ist er inzwischen ausgelaufen und hat wie Nutzungsstudien nachweisen konnten, keine „Betriebskosten für den tatsächlichen Blindleistungsabruf kalkuliert“ wie der BWE feststellt. Ergo ist die Blindarbeit nicht betriebswirtschaftlich einkalkuliert worden.

Übers Jahr summiert sich die unabhängig von der Wirkarbeit eingespeiste Blindarbeit und führt bei den Windparkbetreibern nicht selten zu erheblichen elektrischen Verlusten. Der Leistungsfaktorregelung liegt die Abhängigkeit von Wirk- und Blindarbeit, rechnerisch zu Grunde. Allerdings stellen inzwischen etliche Netzbetreiber auf andere Regelungen um, wie Beispielsweise die Q(U) Regelung, die den aktuellen Blindleistungsbedarf vor Ort reguliert. Und dieser kann durchaus unterschiedlich sein, je nachdem welcher Bedarf zugrunde gelegt wird – wie etwa die Bedürfnisse ansässiger Industrie- und sonstiger Großkunden und Verbraucher.

Wie wird Blindarbeit vergütet?

Bisher wird dem Betreiber einer Windenergieanlage die geleistete Blindarbeit überhaupt nicht vergütet. Und genau das bemängelt der BWE in seinem aktuellen Positionspapier. Wenn der Betreiber einer Windenergie-Anlage Blindleistung aus dem Netz bezieht, die einen Prozentsatz X der Wirkleistung der WEA übersteigt, muss der WEA-Betreiber dem Netzbetreiber die Blindleistung bezahlen. Der Netzbetreiber muss hingegen lediglich die eingespeiste Wirkarbeit vergüten. Den Vergütungsanspruch und die Vergütungsberechnung regelt das EEG in den §§ 16 bis 21.

Entgegen anders lautender Urteile in der Vergangenheit kann ein Energieversorger die Preisvereinbarungen so regeln, dass er zu einem Abzug von induktiver und kapazitiver Blindleistung berechtigt ist. Grundlage für die vertraglich festgelegte Preisgestaltung zwischen Netzbetreiber und beispielsweise dem Betreiber eines Windparks ist die auf den Leistungsfaktor cos begrenzte Blindarbeit. Meistens ist es allerdings so, dass WEA-Betreiber und Netzbetreiber einen Vertrag schließen, in dem die Vergütung der gelieferten Blindleistung explizit ausgeschlossen wird. Und der Bezug der Blindleistung aus dem Netz müsste teuer bezahlt werden.

Ob denn nun tatsächlich nur die Wirkleistung zu vergüten ist, darüber ist sich die Rechtsprechung uneins. Meistenteils wird zugrunde gelegt, dass das EEG mit entsprechenden Vergütungssätzen die Voraussetzungen schafft eine Anlage rentabel zu betreiben. Gleichzeitig stellen die Gerichte fest, dass der Umfang des Blindstroms an unterschiedlichen Standorten eben auch unterschiedlich sein kann.

Vielfach wird die Rechtsprechung in juristischen Kreisen so bewertet, dass der technische Zustand einer Anlage, die Bedingungen am jeweiligen Standort oder die zu tätigen Investitionen in einen Windpark schlicht in den Bereich des unternehmerischen Risikos fallen. Und sind folglich der Ansicht, dass das EEG zwar wie geschrieben die Voraussetzungen für einen wirtschaftlich erfolgreichen Betrieb schaffen, aber kein doppelter Boden für alle Eventualitäten im Netzbetrieb sein kann.

Kostendeckend vergüten – geht das überhaupt?

Der Bundesverband Windenergie sieht das in seinem Positionspapier vom April dieses Jahres naturgemäß ein wenig anders. Es gehe darum, potenzielle Ertragseinbußen durch eine ungleiche Behandlung auszugleichen und die Blindarbeit tatsächlich kostendeckend zu vergüten. Das heißt konkret, eben nicht nur die bereitgestellte Wirkleistung zu vergüten, sondern ebenfalls die zusätzlich anfallenden Kosten. Die wiederum von zahlreichen Faktoren abhängen (der Blindleistungsregelung, der Spannungsebene und den Kabellängen, den spezifischen Anforderungen an die Spannungsregelung etc.). Fakt ist, dass Verbraucher, die eine hohe Blindleistung benötigen, diese von ihrem Netzbetreiber auch in Rechnung gestellt bekommen. Ein Beispiel von Mitnetz: „Die bei der Einspeisung gemessene positive Blindarbeit (induktive Netzbelastung), welche 20 % der zeitgleich eingespeisten Wirkarbeit überschreitet, wird als induktive Blindmehrarbeit und die bei der Einspeisung gemessene negative Blindarbeit (kapazitive Netzbelastung), welche 20 % der zeitgleich eingespeisten Wirkarbeit überschreitet, als kapazitive Blindmehrarbeit getrennt in Rechnung gestellt.“ (Quelle: https://www.mitnetz-strom.de/Stromnetz/Stromerzeugung/Betrieb/Stromverguetung/AllgemeineRegelungen)

Bestimmte Vertragsmodelle für die Einspeisung von Großkraftwerken sehen allerdings vor, die Blindarbeit separat von der Wirkarbeit zu vergüten.

Das Positionspapier empfiehlt eine überschlägige Berechnung auf Basis typischer Szenarien. Eine Möglichkeit, die bereits erfolgreich angewendet wird, gibt es in der Schweiz von Swissgrid: Konzept für die Spannungshaltung im Übertragungsnetz der Schweiz ab 2011.

Auf dieser Basis rät der BWE:

  • Die Blindarbeit von dezentralen Erzeugern muss einen Preis bekommen
  • Der gesetzliche Rahmen muss angepasst werden
  • Die Netzbetreiber müssen eine Möglichkeit bekommen die ihnen bereitgestellte Blindarbeit aus den Windkraftanlagen vergüten zu können
  • Der Netzbetreiber kann aufgrund der Standortfaktoren entscheiden, welche Blindleistungsquelle die wirtschaftlich und technisch günstigste ist

Die Bereitstellung der Blindarbeit soll dabei auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit für den Anlagenbetreiber beruhen. Das Positionspapier versucht also einen Kompromiss zwischen unterschiedlichen Interessen und Ansprüchen, der sowohl technisch als auch wirtschaftlich für die Betreiber von Windenergieanlagen tragbar ist.

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